Professional Audio november 2021

interview Professional Audio November 2019

„Ich wollte unser CD-Fachwissen auf Vinyl übertragen“

Modernisierte Vinylpressung soll mehr Kapazitäten und exaktere Fertigung ermöglichen

 

Intro: Die niederländische Firma „Green Vinyl Records“ verspricht optimierte Schalplatten im Spritzgussverfahren: Durch geringeren Druck als bei dampfbetriebenen Schallplattenpressen sollen akkuratere Abbilder entstehen, das Verfahren soll zudem Energie sparen. Ein Gespräch mit Harm Theunisse, dem Initiator des Projekts und Betreiber der Symcon Group, eines Dienstleisters für CD-Presswerke.

 

Von Nicolay Ketterer. Fotos: Green Vinyl Records

 

Mit seiner Symcon Group im niederländischen Veldhoven bedient Firmenchef Harm Theunisse Presswerke für CDs, DVDs und Blu-Rays. Er beliefert seine Kunden mit Maschinen, Ersatzteilen und Chemikalien, übernimmt auch Wartungsarbeiten der Technik. „Früher waren viele CD- und DVD-Pressen gefragt“, resümiert er. „Aufgrund des Internets ist die DVD praktisch zusammengebrochen. Blu-Ray wird heute vor allem für Spiele in der Sony Playstation oder Microsoft Xbox eingesetzt, der Markt ist nach wie groß. CDs werden noch recht stabil nachgefragt, meist überholen wir Maschinen, die 20, 25 Jahre alt sind.“ Vor rund sechs Jahren hatten mehrere Kunden angefragt, ob er nicht auch Schallplattenpressen besorgen könne. „Ich wurde neugierig, was den Vinyl-Hype betrifft, der damals gerade anstieg.“ Weltweit werden pro Jahr immer noch rund 6 Milliarden Disks gefertigt – Blu-Ray, CD, und DVD zusammengenommen, Dem stehen aktuell rund 150 Millionen Schallplatten gegenüber, so Theunisse. „Wir schauten uns die Technik der alten herkömmlichen Schallplattenpressen an: Sie sind dampfbetrieben, mit einem steamgenerator, das erfordert hohen Wartungsaufwand und viel Fingerspitzengefühl, um das richtige Ergebnis einer Pressung hinzubekommen. Wir dachten, das ließe sich bestimmt effizienter und reproduzierbarer umsetzen, mit Spritzgussformen, wie wir sie bei der Herstellung von CDs verwenden.“

 

Spritzgussverfahren statt Dampfpressung

Theunisse und seine Kollegen sprach 2014 mit Technikern, um im Spritzgussverfahren eine Presse für Schallplatten herzustellen, „mit anderen, stabileren Materialien als bisheriges Vinyl, sodass die Qualität der Produktion gleichmäßiger werden würde.“ Er versuchte, einzelne Ansätze und Arbeitsschritte in die Vinylproduktion zu übernehmen, um die Toleranzen zu verringern. Sie entwickelten ein Konzept. „Zur Herstellung benötigen wir 60 Prozent weniger Energie, das verringert die Kosten.“ Nicht zuletzt dadurch ist der Prozess umweltfreundlicher – daher der Name des Projekts, „Green Vinyl Records“. Durch vollständig automatisierte Produktion sei weniger Personal nötig. Auch die Produktionszeit lasse sich reduzieren: „Bei einer Dampfpresse dauert die Pressung einer Schallplatte insgesamt rund 25 Sekunden. Im Moment stehen wir etwa bei 18, 19 Sekunden, streben aber 16 Sekunden an, was vom Material her möglich wäre.“ Zudem verzichtet Green Vinyl Records verzichtet auf aufgeklebte Papier-Labels: „Das Papier ist sehr teuer, dazu ist spezielle Tinte notwendig und es muss getrocknet werden und in einem offen gebacken werden. Dazu bedarf es viel Energie und logistischen Aufwandes – stattdessen drucken wir direkt digital auf die Vinyloberfläche, sobald das Vinyl aus der Spritzgussform kommt.“

 

Nationale und EU-Fördermaßnahmen für das Pilotprojekt

Zur Finanzierung beantragte Theunisse unter anderem eine EU-Förderung und Fördergelder aus den Niederlanden. „Die Gremien prüfen, ob die Idee innovativ ist und Jobs verspricht. Zusätzlich muss das Konzept wirtschaftlich und ökologisch optimiert sein. Zunächst wurde mein Förderungsantrag zurückgewiesen. Ich fragte nach, woran es leg – die Grundidee war interessant, ich musste den Antrag allerdings komplett umformulieren, sodass alle Argumente passend zur Geltung kamen und sozusagen eine ‚Geschichte‘ erzählt wurde – da bekam ich Hilfe von beteiligten Partnern. Beim zweiten Anlauf 2015 hat die Förderung geklappt.“ Das erinnert an das HD-Vinyl-Projekt des österreichischen Unternehmens Rebeat (siehe Professional Audio Ausgabe 6/2019): Dessen Geschäftsführer Günter Loibl musste in Österreich vier Mal um Förderung ersuchen, bis sein Antrag bewilligt wurde. Rebeat will den Bereich der Stamper-Produktion optimieren – die Vorlage, von denen die Schallplatten abgezogen werden. „Ich kenne Günter. Wir reden bereits darüber, unsere beiden Ansätze zu kombinieren. (lacht) Er kümmert sich um Vinyl-Mastering und Stamper, ich darum, die Schallplatten zu pressen.“

 

Theunisse begann 2016 mit der praktischen Umsetzung seines Konzepts. An „Green Vinyl Records“ sind sieben Partner beteiligt: Symcon entwickelt die Spritzgussform, MPB fertigt die Formen und Einzelteile, Koot liefert die Spritzgussmaschine, PRG fertigt das Plastikrohmaterial zur Pressung, Geelen übernimmt die Abwicklung der automatisierten Herstellung, Record Industry – ein traditionelles Vinyl-Presswerk – versorgt „Green Vinyl Records“ mit Stampern zum Spritzgießen, die Fontys Hogeschool und deren Studenten messen die Klangqualität. „Sie untersuchen beispielsweise die Rillen unter dem SEM (Scanning Electron Microscope) mikroskop“, erklärt Theunisse. Es sind öffentliche Gelder, deren Wert auch wieder an die Öffentlichkeit zurückgelangen solle. Das sei eine Bedingung der Förderung, dass das Wissen im Zuge der Entwicklung direkt an die Forschung zurückfließe. „Wir hatten 2018 eine Ausstellung veranstaltet. Die Studenten waren begeistert vom Konzept, konnten davon lernen.“ Man tausche Erfahrungen aus, lerne gemeinsam. Jeder der Partner habe naturgemäß eigene Ziele und Prioritäten, aber sehe das Projekt als interessantes an, bei dem zunächst Investitionen nötig sind. „Am Ende hoffen alle auf ein gelungenes Produkt.“ Insgesamt steht ein Budget von vier Millionen Euro bis zum Ende der Forschung, die dieses Jahr abgeschlossen werden soll, zur Verfügung. „Eine Million Euro stammt von der EU, dazu kamen lokale Förderungen in Höhe einer weiteren Million. Um die Fördergelder zu erhalten, mussten wir, die Partner, jeden geförderten Euro verdoppeln.“

 

Am Produktionsort in Asten steht eine gewaltige Maschine, rund 7,5 Meter lang, zwei Meter hoch und zwei Meter breit, mit der die Spritzguss-Schallplatten derzeit hergestellt werden. „Dass die Maschine so groß ist, liegt daran, dass es sich um ein Prototypen-Konzept handelt. Zu Beginn konnten wir noch nicht abschätzen, welches Material wir letztlich für die Pressung verwenden würden, und welche Andruckkräfte: Unterschiedliche Materialen benötigen andere Kräfte zur Pressung. Wir mussten demnach eine überdimensionierte Maschine kaufen, um die Kräfte für alle Spezifikationen abdecken zu können. Das passende Material, das wir nun gefunden haben, benötigen geringere Andruckkräfte; künftige Maschinen können wir fast um die Hälfte kleiner bauen.“

 

Die grundsätzliche Umsetzung der Idee? „Manches war nicht so schwer, aber der Teufel liegt teilweise im Detail, und es dauerte ein Jahr, alles grundsätzlich auszuarbeiten.  Um beispielsweise das geschmolzene Material in die Form zu spritzen, mussten wir die Einspritzdüse komplett neu gestalten. Mittlerweile sei das Produkt bereits sehr gut, meint Theunisse. „Die Stabilität der neuen Platten ist deutlich höher, wir können mit einer Genauigkeit von 0,01 Millimetern produzieren.“ Bei einer herkömmlichen Schallplattenpresse wird ein Vinyl-Puck eingegeben, der von innen nach außen auf die gesamte Fläche verteilt wird, überschüssiges Material wird an der Seite herausgepresst. Bei der Spritzgussform wird demnach das Material exakt berechnet, um die Form auszufüllen, ohne Überschuss.

 

Für den Label-Druck, an dem sie gerade arbeiten, entwickelten sie einen speziellen Drucker, um das Vinyl direkt bedrucken zu können. „Dadurch können wir auch schnell reagieren, wenn individuelle Änderungen gewünscht sind, ohne eine große Auflage an bedruckten Papier-Labels vorhalten zu müssen. So lassen sich zum Beispiel direkt Seriennummern auf jede Schallplatte aufdrucken. Dafür ist lediglich eine passende PDF-Vorlage notwendig!“

 

Die reinen Materialkosten der Fertigung seien etwas teurer: „Herkömmliches Vinyl kostet knapp 2 Euro pro Kilogramm. Daraus entstehen rund fünf Platten, Rückläufer eingerechnet. 40 Cents pro Platte, dazu kommt die zur Pressung nötige Energie, die beträgt etwa elf Cents. Die beiden Papier-Labels kosten 24 Cents pro Platte. Verkauft wird das Exemplar für rund einen Euro. Wir verdienen bei unserer Technik nicht viel mindestens 25% billiger als die herkömmliche Methode, es entstehen aber weniger Rückläufer, die wir einkalkulieren müssen, dazu sparen wir 60 Prozent der Energiekosten und benötigen weniger Angestellte für den Produktionsablauf, dabei soll auf einer Produktionlinie einfach 1,25 million schallplatten können produziert worden pro jahr.

 

Klangqualität

„Alles hängt von der Soundqualität ab – zum Beispiel der Klang sowie Effekte wie Pre-Echo und after-Echo.“ Er spricht das „Durchfärben“ auf die vordergehende oder nachfolgende Rille an, ähnlich dem Pre-Echo-Effekt, wie er bei Tonbändern durch Magnetisierung entstehen kann. Die Echos im Vinyl hängen laut Theunisse mit dem herkömmlichen Pressvorgang zusammen. „Bei unserer Arbeitsweise entstehen keine Echos. Das – und die Klangqualität an sich – messen wir, zusammen mit den eingebundenen Studenten. Auch bei Hörtests schneidet unser Material und Verfahren konstant sehr gut ab.“ Der eigentliche Klang hänge vom ursprünglichen Stamper ab, den versuchten sie, optimal zu reproduzieren. Die Nebengeräusche der neuen Pressung seien geringer, theoretisch sei „Stille“ bei -72 Dezibel möglich, während bei herkömmlichen Pressungen der theoretische „Nullpunkt“ um -62 Dezibel liegt. „In der Praxis lässt sich bei unseren Pressungen -68 Dezibel erreichen. Das hängt natürlich auch viel vom Stamper ab – wenn der Schnitt oder die Galvanik nicht gut ist, schränkt das das Ergebnis ein.“

 

Geringere Abnutzung

Vinyl lasse sich 50 bis 60 Mal abspielen, bevor erste Abnutzung sichtbar, dann sehen Sie die Aufzeichnung grau drehen. „Unser Material kann rund 400 Mal abgespielt werden, rund fünf bis sechs Mal länger, bevor Beeinträchtigungen sichtbar werden.“ ist es auch schwieriger zu kratzen, Ja das ist Ein Vorteil: „Der ‚Hockey-Puck‘-Vinyl-Rohling bei der herkömmlichen Vinyl-Pressung wird mit 140 Grad heißem Dampf weich gemacht und dann gepresst. Durch den Anpressdruck der beiden Stamper wird er über die gesamte Fläche verteilt. Durch das ‚Quetschen‘ des aufgeweichten Materials nach außen werden die Stamper-Rillen auf Dauer verbogen. Nach rund 500 gepressten Platten entsteht bereits ein hörbarer Unterschied durch die Abnutzung.“ Der Kunststoff, den Theunisse im Spritzgussverfahren verwendet, wird vor der Eingabe in die Form verflüssigt, mit einer Erhitzung von 300 Grad. „Wir verwenden keinen mechanischen Druck auf den Stamper, weil unser Material deutlich flüssiger ist. Dadurch werden die Stamper-Rillen bei der Herstellung nicht nach außen gebogen.“ Das Plastik wird direkt in die Rillen eingespritzt, dadurch ließen sie sich genauer abbilden. Im bisherigen Verfahren wird ein Stamper nach 1.800 bis 2.000 Abzügen ersetzt. „Mit der neuen Technik sind 20.000 Abzüge pro Stamper möglich, genau wie bei CDs.“

 

Da der von uns verwendete Kunststoff noch zum Patent angemeldet ist, ist es nicht möglich das kommunizieren zu können, welches Material wir verwenden

 

„Blindtest“ Praxis

Der Schallplattenmarkt sei sehr konservativ, erklärt Theunisse, daher sei ihm wichtig, die Qualität zunächst sicherzustellen, bevor das Produkt auf den Markt kommt. Er erinnert sich an eine Anekdote: „Letztes Jahr war ich in Berlin auf einer Messe und hatte unsere Platten dabei. Zu Beginn fiel den Leuten der Unterschied nicht auf. Das Gewicht ist praktisch gleich – rund 180 Gramm. Ein Unterschied: Die Kante der Platten verläuft gerade, sie wird nicht schmaler.“ Der Unterschied entsteht durch die Spritzgussform im Vergleich zur Dampfpresse, so Theunisse. „Sie hörten die Schallplatten an und fanden den Klang gut. Ich meinte, sie sollen auf das Label schauen – dann fiel ihnen der Unterschied auf, da war kein Papier! Die Tinte lässt sich nicht abkratzen, sie ist nicht wasserbasiert – klar, würdest du die Platte in einen Geschirrspüler stecken, wird das irgendwann schwierig, aber grundsätzlich ist sie sehr widerstandsfähig. 90 bis 95 Prozent der Nutzer würde sonst kein Unterschied auffallen. Darüber hinaus existieren etwa fünf Prozent Vinyl-Fans, die das ‚Gesamterlebnis‘ Vinyl suchen, mit dem Geruch und so weiter. Ansonsten gilt: Du kannst die Schallplatte mit jedem Plattenspieler anspielen, sie ist komplett abwärtskompatibel.“

 

Vermarktung

Mit „Green Vinyl Records“ will Harm Theunissen nicht selbst Platten pressen. „Ich möchte nicht in Wettbewerb zu meiner Kundschaft treten. Ein Verkauf der Maschinen wäre allerdings zu teuer, daher planen wir, die neuen Pressen per Leasing anzubieten. Es gibt bereits Kunden, die eine Maschine wollen. Bevor wir damit nach außen gehen, will ich allerdings sicherstellen, dass die Qualität wirklich einwandfrei ist. Vinyl ist ein sehr emotional besetztes Produkt: Der Hörer öffnet die Kartonhülle, nimmt die Platte aus der Innenhülle, wischt sie ab, legt sie auf den Plattenspieler und legt die Nadel auf, die schließlich ihren Weg in die Einlaufrille nimmt. Du hast eine Verbindung zu dem Produkt. Ich möchte vermeiden, dass die Neuentwicklung durch einen Schnellschuss negativ besetzt wird. Das Ergebnis muss gleich gut oder besser sein als herkömmliches Vinyl. Mittlerweile kann ich sagen, dass wir besser sind.“

 

Im Februar 2020 soll die industrielle Vinyl-Produktion starten können. „Dann ließen sich mit unserer Presse mehr als 1,25 Million Schallplatten pro Jahr produzieren,  mehr als  40 Prozent mehr als die Kapazität einer herkömmlichen Dampfpresse“, kündigt Harm Theunisse an.

 

www.greenvinylrecords.com

www.processtechgroup.net

www.youtube.com/channel/UCMoa5B4LhMFDTr8gnHsdIbw